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Liebe Eltern!

Die Probleme Ihres Kindes haben nun einen Namen bekommen. Daher möchten Sie jetzt sicher wissen, was mit der Diagnose „hyperkinetisches Syndrom (HKS)“ oder „Aufmerksamkeits-Defizit-Störung (ADS)“ oder „minimale cerebrale Dysfunktion (MCD)“ eigentlich gemeint ist. Bisher haben Sie sicherlich die Erfahrung gemacht, dass man Ihnen unterstellt hat, das Kind nicht richtig erzogen zu haben. Im Klartext hat das immer bedeutet: Sie haben in der Erziehung versagt. Sie wissen am besten, wie schwierig es ist, das Kind so zu behandeln, dass es nicht gleich einen Trotzanfall bekommt oder mit einem Wutanfall seine Umgebung zur Verzweiflung bringt. Sie werden sich sicher seit der Geburt des Kindes trotz aller Schwierigkeiten bemüht haben, das Kind so zu lieben und zu nehmen, wie es ist. Eltern, Geschwister und Freunde haben Ihnen wahrscheinlich viele gute Ratschläge gegeben, wie das schwierige Kind besser erzogen werden könnte, und trotzdem blieb das Gefühl, dass dies nicht die Lösung des Problems war.

Zunächst ist es wichtig zu verstehen, um was für eine Störung es sich handelt. Bis vor zehn Jahren gab es überwiegend die Ansicht, es handele sich um eine Hirnschädigung, die entweder durch Krankheiten der Mutter in der Schwangerschaft oder durch Geburtsschwierigkeiten ausgelöst worden ist. Die Bezeichnungen minimale cerebrale Dysfunktion (MCD) oder die Schweizer Bezeichnung psychoorganisches Syndrom (POS) weisen auf diese angenommenen Ursachen hin. Zu Beginn dieses Jahrzehnts hat man mit neuen Untersuchungsmethoden Erkenntnisse gewonnen, wonach die Durchblutung bei Menschen mit Konzentrationsstörungen, Reizoffenheit, Hyperaktivität und Impulssteuerungsmangel in bestimmten Bereichen des Gehirns herabgesetzt ist. Familienstudien haben gezeigt, dass Kinder mit dieser Störung auch häufig Eltern haben, die in ihrer Kindheit auffallend unruhig und konzentrationsgestört waren. Aufgrund dieser Erkenntnisse muss man heute davon ausgehen, dass die Störung überwiegend in den Genen festgelegt ist, lediglich das Ausmaß der Auffälligkeiten kann durch Einflüsse wie Krankheit in der Schwangerschaft und Geburtsschwierigkeiten verstärkt werden. Es ist deshalb wichtig, dass bei der Diagnosefindung nicht nur die Probleme des Kindes besprochen werden, sondern dass auch durch eine ausführliche Befragung der Eltern geklärt wird, ob nicht bei ihnen oder in der weiteren Verwandtschaft, z. B. bei Großeltern und Geschwistern, schon Menschen dabei waren, die ähnliche Probleme hatten. Es ist oft so, dass viele Eltern dies eigentlich wissen, ohne den Zusammenhang mit den Problemen des Kindes herzustellen. Andererseits können Eltern, wenn sie selbst an viel Unruhe gewöhnt sind, nicht bemerken, dass ihre Kinder unter erheblichen Schwierigkeiten leiden. Aus der Frage, „Was soll aus dem Kind werden?“, wird so die Frage: „Wie kann die Familie mit dieser Krankheit umgehen?“.

In diesem Zusammenhang werden Sie verwundert feststellen, dass Ärzte von einer Krankheit sprechen, obwohl die Menschen, die betroffen sind, sich nicht krank fühlen. Eine Krankheit ist es deshalb, weil nicht alle Funktionsabläufe – in diesem Fall die Übertragung von Reizen aller Art ins Gehirn hinein und heraus – so funktionieren wie bei Menschen ohne diese Veranlagung. Die Übermittlung von Körperspannung und Hautoberflächenreizen kann beispielsweise betroffen sein und dazu führen, dass schreiende Babys nicht durch Körpernähe zu beruhigen sind. Später laufen diese Kinder vielleicht ungeschickt, stolpern und fallen viel hin, weil bei ihnen die Abstimmung zwischen aufgenommenem Reiz und Antwort des Gehirns unzureichend ist. Wenn man sich diese Form der Störung bildlich vorstellen möchte, erinnert die Verteilung von Wahrnehmungen im Gehirn an einen Kreisverkehr, bei dem das Auto nicht an der richtigen Stelle abgebogen ist, also das Ziel verfehlt hat. So kommt es auch, dass Gelerntes nicht erinnert werden kann oder die Erinnerung zur rechten Zeit nicht zur Verfügung steht, weil die Suche an der falschen Stelle erfolgt. Es heißt dann: „Das Kind lernt nie aus seinen Fehlern.“

Es gibt außerdem keinen Filter für die Wahrnehmung von Eindrücken. Das Kind oder der Erwachsene sind unfähig, Reize zu unterdrücken. Sie werden von allen Reizen gleichmäßig angezogen, sie können sich deshalb nicht auf wichtige Dinge konzentrieren. Dazu wäre es nötig, Reize in Wichtig und Unwichtig einzuteilen und die auszuschalten, die bei der augenblicklichen Tätigkeit stören. Wie oben erwähnt wurde bei Untersuchungen der Durchblutung des Gehirns festgestellt, dass der Blutfluss in bestimmten Regionen verlangsamt ist und die Versorgung mit Zucker als Energieträger dadurch schlechter als bei gesunden Menschen ist. Dies führt dazu, dass das Gehirn nicht so aktiviert ist, dass es allen Aufgaben gleich gut gewachsen wäre. Die Kinder versuchen nun diesen Mangel durch erhöhte körperliche Aktivität auszugleichen. Diese motorische Unruhe ist uns allen aus dem vor über 150 Jahren erschienenen „Struwwelpeter“ von Heinrich Hoffmann mit der Geschichte vom Zappelphilipp wohl bekannt. Das Symptom der Hyperaktivität hat auch die Bezeichnung der Krankheit – hyperkinetisches Syndrom – geprägt.

In dem Bilderbuch gibt es aber auch die Geschichte vom Hans Guck-in-die-Luft, der vor lauter Träumen nicht geschaut hat, wohin ihn sein Weg führt. Heute wird das Ausmaß der Störung mehr über Aufmerksamkeitsdefizit und Konzentrationsmangel definiert, weil im Lauf des Lebens die Einschränkungen durch diese Symptome mindestens so schwerwiegend sind wie die Auswirkungen der Hyperaktivität. Bei vielen Kindern verliert sich die Zappeligkeit nach der Pubertät und wird weiterhin nur noch als innere Unruhe gespürt. Diese Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes hat zu der Überzeugung beigetragen, es handele sich ausschließlich um eine Störung des Kindesalters. Viele Ärzte wissen noch nicht, dass die Krankheit häufig auch im Erwachsenenalter weiterbesteht. So kann es sein, dass nicht nur das Kind Probleme mit der Ordnung hat oder unter einer erhöhten Aggressivität leidet, sondern dass auch der Vater oder die Mutter große Schwierigkeiten haben, die alltäglichen Abläufe zu regeln, ohne dass es zu Auseinandersetzungen in der Familie kommt. Eine solche Familie erweckt beim Untersucher den Eindruck, dass die Eltern unter einer Überforderung im Rahmen der Erziehung leiden, besonders wenn das betroffene Kind vollkommen normal und der Situation angepasst wirkt. Dies kommt bei der Untersuchung durch den Arzt häufiger vor, weil das Kind die Untersuchung spannend findet und deshalb mit seiner Unruhe vorübergehend keine Probleme hat. Viele Kinder leben nur mit einem Elternteil, weil die Beziehung der Eltern den permanenten Spannungen nicht Stand gehalten hat. Dies führt bei Ärzten und Erziehungsberatern zu dem Reflex, die Störungen des Kindes seien durch die Spannungen im Elternhaus ausgelöst. Deshalb bieten sie den erschöpften Eltern oft zuerst eine Paartherapie an.

Nun erscheint es wichtig, die neben der bei vielen Kindern nicht zu übersehenden körperlichen Unruhe auftretenden Symptome besonders zu besprechen, damit Sie die Eigenarten ihres Kindes besser erkennen und verstehen können.

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